REZENSIONEN 

Beatrice Büchsel

Körper – Gedächtnis

Ausstellung im Rathaus Beutelsbach 2015

„Körper - Gedächtnis" das ist mehr als nur der Name einer Ausstellung. Körper und Gedächtnis sind zwei Repräsentanten von Materie und Geist, die zueinander ins Verhältnis gebracht werden. Im Gedächtnis sind alle menschlichen Wahrnehmungen und Vorstellungen beheimatet, mit denen wir uns in der Welt orientieren. Weil wir uns selbst und die Welt, in der wir leben, einem beständigen Wandel unterliegen, verändern sich auch Wahrnehmungen und Vorstellungen. Gewohnheiten und Routinen, die in unserem Gedächtnis verankert sind, erleichtern es der Wahrnehmung nicht alles beständig neu sehen zu müssen. Aber sie sind auch ein Hindernis für die Wahrnehmung, die mehr kann als unsere Gewohnheiten und Routinen zulassen, vor allem Neues zu entdecken. Das betrifft auch das Verhältnis von Mensch und Kunst und auf diese Spur möchte die Ausstellung Sie bringen.

Wir sagen: „Ich habe einen Körper" und nicht „Ich bin ein Körper". Es gibt aber kein Ich, das unabhängig von seinem Körper irgendwo herum schwebt, und unser Körper ist keine dumpfe Masse. Unsere geistigen Fähigkeiten werden nicht in unseren Körpern abgefüllt, sondern unsere Entwicklung vollzieht sich immer als geistig/körperliche Gleichzeitigkeit. Wir unterscheiden unsere Sinneswahrnehmungen: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten. Aber im Gedächtnis sind sie das Ensemble der Orientierung in der Welt. Die Haut ist unsere Grenze zur Außenwelt und ihr Tastsinn erreicht jeden anderen Körper an seiner äußeren Grenze, seiner Oberfläche. Jede Berührung sagt uns etwas darüber, womit wir es zu tun haben.

Gestein hat längst bevor es Menschen gab schon Form angenommen. Erdgeschichte ist ein Thema der Geologen und von ihnen wissen wir, dass sich Gestein gebildet hat und in ihm ist seine Geschichte eingeschlossen. Gestein ist von unterschiedlicher Härte und Sprödigkeit. Ein Bildhauer weiß, dass sich Stein gut bearbeiten lässt, aber Stein lässt sich auch nicht alles gefallen. Ein unbedachter Schlag und ein Stück Gestein ist weggebrochen. Die Form, die der Bildhauer aus Granit, Kaltstein, Marmor oder was auch immer herausgearbeitet hat, ist für den Betrachter durch die Oberfläche erfahrbar.

Wenn Sie in dieser Ausstellung dem Formprozess der Skulpturen von Christoph Traub folgen, dann tun Sie es als die Körper, die sie selbst sind. Sehen Sie als wären Ihre Augen mit Tastsinn ausgestattet. Augen haben zwar keinen Tastsinn, aber sie haben Zugang zum Gedächtnis des Tastsinns. Wölbungen, Vertiefungen, Grübchen, Falten kennen wir als erinnertes, tastbares Körpergefühl. Das ist zuverlässiger als etwas zu zitieren, womit der Betrachter eher intellektuell als mit seinen Sinnen angesprochen wird.

1.Körper trifft auf Körper – Gedächtnis trifft auf Gedächtnis

Die Skulptur, die Sie vor dem Eingang gesehen haben, heißt Mother Earth. Bevor Christoph Traub mit der bildhauerischen Arbeit beginnen kann, muss er sich mit dem Stein auseinandersetzten. Der Stein ist eine Vorgabe. In diesem Fall ist es eine kolossale Vorgabe aus belgischem Kalkstein, bei der sich von selbst versteht, dass kein Figürchen dabei herauskommt. Der Blick von Christoph Traub muss an diesem Stein suchen, bis die Form, die der Stein hergibt, auch von ihm zugelassen wird. Wenn wir eine Vorstellung von der Erde haben, dann haben wir meistens Satellitenaufnahmen in Erinnerung. Als Mother Earth würden wir das nicht bezeichnen. Diese Erinnerung ist mit der Skulptur von Christoph Traum nicht in Einklang zu bringen. Eher entsprechen mythische Bilder dieser Skulptur. Hesiod beschreibt das Entstehen der Erde Gaia als ein wildes aufbäumendes Hervorbringen, das durch den Himmel Uranos befruchtet wird. Hervorgebrachtes wird immer wieder in den Leib der Gaia zurückgedrängt. Erdgeschichtlich ist das mythische Bild gar nicht so unangebracht. Folgen wir solchen Vorstellungen, dann erschließt sich die Skulptur von Christoph Traub fast von selbst. Wie eine langsame Bewegung wölbt und furcht sich diese Skulptur, erzeugt Eindrücke vom Entstehen, Durchbrechen und Innehalten. Während die Erde sich beständig weiterformt, z. B. durch die Plattentektonik, hält Christoph Traub mit seiner Skulptur Mother Earth die Evolution an und hält eine Form bzw. Formdurchdringung fest. Die Bewegung wird zum Ereignis der Betrachtung, die durch seine Formgestaltung möglich geworden ist.

2. Analogie der Körper durch Gedächtnis

Der Abstand von Körper und Gedächtnis wird geringer bei den Skulpturen, die die Züge menschlicher Muskulatur tragen. Wir wissen unmittelbar, wie Muskulatur sich anfühlt. Wir kennen die Anspannung und Erschlaffung und verbinden es mit vielfältigen Empfindungen. Mit Skulpturen „Haut" lässt Christoph Traub den Betrachter fühlen, wie sich unbestimmte Muskulatur dehnt und rekelt. Mulden und Wölbungen bringen Spannungsbögen hervor, so dass an keiner Stelle Erschlaffung zu einer amorphen Masse entsteht. Furchen und Falten lenken den Blick weiter zur nächsten Wölbung und so lässt sich die „Haut" endlos mit dem Blick, ausgestattet mit dem Gedächtnis des Fühlens, ertasten.

3. Körper – Ruhe – Bewegung als sich selbst gleiches Gedächtnis

Den von Christoph Traub festgehaltenen Formen gewinnt er auch auf andere Weise als dem Formenspiel Bewegung ab, indem er vier Skulpturen zu einem Ensemble verbindet. Das räumliche Nebeneinander wird zu Phasen des Nacheinander von vier Skulpturen, von denen eine tänzelt, die zweite aus dem Gleichgewicht kommt, die dritte fällt und die vierte am Boden liegt. Das ist für jeden nachvollziehbar, weil jeder schon einmal aus einer Bewegung heraus umgefallen ist. Das geht so schnell, dass niemand in der Lage ist Phasen zu unterscheiden. Christoph Traub hat mit dieser Vierheit Phasen des Nacheinander geschaffen, die die Skulpturen mit einer zyklischen Zeit versieht. Es beginnt immer wieder von vorne, wie eine unendliche Bewegung des Tänzelns bis zum Liegen. Das Zyklische ist zwar ein zeitliches Nacheinander, aber es gibt, wie im Kreis, keinen Anfang und kein Ende. Das Liegende kann sich wieder zum Tanz aufschwingen, wieder aus dem Gleichgewicht kommen, wieder Fallen, wieder am Boden liegen. Jede Skulptur kann der Anfang oder das Ende sein. Stillstand und Bewegung sind sich selbst gleich, ein beständig sich wiederholendes Gedächtnis der Bewegung.

4. Vom Körper in die Fläche – Gedächtnis der Bewegung und Illusion

Die Bearbeitung von Stein verlangt einen erheblichen Kraftaufwand. Wie viel Kraft nötig ist, das weiß man aus Erfahrung – eine Erfahrung, die nicht jeder macht. In der Fläche der Zeichnung ist die Bewegung der Linienführung unmittelbarer nachvollziehbar. Christoph Traub zeigt in Steinzeichnungen und Grafiken, wie Linienführungen die Durchdringungen der Formen hervorrufen. Was hier in der Fläche geschieht ist so viel anders auch nicht als das Herausarbeiten einer Form im Raum. Auch beim Stein wird die Form im Nebeneinander von Meißelspuren wie Linien herausgearbeitet. Aber das sieht man hinterher nicht mehr oder fast nicht mehr. In der Bewegung des Zeichnens auf der Fläche bilden Linien in der Verdichtung dunkle und weiter auseinander liegende Linien helle Bereiche. Durch den Schwung der Linien gehen sie ineinander über und erzeugen durch das Hell-Dunkel Tiefenwirkung als Raumillusion. So wenig es Menschen möglich ist durch einen Raumkörper hindurch zugleiten, so wenig können wir durch eine Fläche in einen Raum gelangen. Durch Linienführung entwickelte Formen, die im Hell-Dunkel sich vor und zurück drängen zeigen dem Auge ein plastisches Geschehen, von dem der Tastsinn weiß, dass es eine Illusion ist.

5. Körperliches Gedenken

Im Gedächtnis gibt Einiges, von dem wir nicht möchten, dass es in Vergessenheit gerät. Dann werden Bücher geschrieben, Archive angelegt und es werden Bildwerke erstellt. Christoph Traub hat nach dem Concordia Unglück in Italien ein solches Bildgedächtnis erstellt. Was geschieht bei einem solchen Unglück? Es werden also Bergungsmannschaften losgeschickt, die versuchen zu bergen, was sie erreichen können. Alles Geborgen wird aufgereiht und mit Nummern versehen.

Christoph Traub hat diesem Vorgang ein Gesicht gegeben, indem er dem Geborgenen Formen gegeben hat, die den Rest des Menschlichen erkennen lassen und es mit fiktiven 6stelligen Nummern versehen. Auf der Einladung ist ein Foto der Geborgenen zu sehen, die Christoph Traub auf dem Boden aneinander gereiht hat. Hier in der Ausstellung hat Christoph Traub sie auf Stelen angebracht. In der griechisch römischen Antike waren Stelen freistehende Pfeiler mit Inschrift zum Gedenken an Verstorbene, häufig mit einer Büste. So ähnlich sind die Geborgenen wohl auch zu verstehen. Zu ihrem Gedächtnis gehört auch wie sie umgekommen sind. Die Beisetzung der tödlich Verunglückten gibt den Toten ihre Namen zurück. Die Geborgenen von Christoph Traub sind die Katastrophe, die die Menschen wegrafft ohne nach dem Namen zu sehen. Auch wenn wir das nur mit Schmerz und Beklommenheit sehen und eigentlich lieber nicht sehen wollen, so gehört das auch zu unserem Leben und ereignet sich beständig wieder.

Christoph Traub hat Formgestaltung als Körper und Gedächtnis in dieser Ausstellung in den Möglichkeiten von

Körper trifft auf Körper – Gedächtnis trifft auf Gedächtnis

Analogie der Körper durch Gedächtnis

Körper – Ruhe – Bewegung als sich selbst gleiches Gedächtnis

Vom Körper in die Fläche – Gedächtnis der Bewegung und Illusion

Körperliches Gedenken

zur Anschauung gebracht. Sie wollen entdeckt und erfahren werden von den Betrachtern, die ihrer Wahrnehmung einen neuen Gedächtnisinhalt zutrauen.

Beatrice Büchsel

                          

  


Christoph Traub schafft Skulpturen, die irgendwie vollendet erscheinen, obwohl sie im gewöhnlichen Sinne nicht immer schön sind. Eine schöne Skulptur - das hört man oft - soll Harmonie und Regelmäßigkeit zeigen, in dem Sinne, weil ein Gesicht regelmäßige Züge hat, ein schöner Körper ebenmäßige Formen. In diesem Sinne sind Traubs Skulpturen nicht schön, weil Regelmäßigkeit und Ebenmäßigkeit nicht die vorrangigen Maßstäbe sind, sondern er will Spannungen ausdrücken, das bedeutet auch Missverhältnisse anzudeuten, ungewohnt lange Glieder, die sich manchmal noch auf bizarre Wiese winden, gestutzte Flügel und breite Formen auf dünnen Trägern. Und trotzdem: Seine Figuren - es sind fast immer menschliche Körper oder menschliche Glieder, die er gestaltet. Diese Figuren haben etwas Vollendetes, es liegt zwar auch an der meisterhaften Ausführung, also am Handwerk, das Traub beherrscht, aber es liegt vor allem an der sinnlichen Ausdruckskraft, die diese Skulpturen besitzen. Man stellt sich diese Körper und Glieder unversehrt vor, zumal Traub vom Sport und von körperlicher Kraft und Bewegung fasziniert ist. Ich habe darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich darüber sprechen sollte, dass das Leben keine vollendeten Körper schafft. Von Geburt sind Glieder nicht immer intakt und später kann es passieren, dass Leiber geschunden werden vom Schicksal und durch die Gewallt des Stärkeren.

Annette Keles, Juli 2000



MATERIAL · FORM · MOTIVE · AUSDRUCK
(Sabine Heilig)

In der klassischen Lehre der Bildhauerkunst wurde dem Stein, insbesondere dem Marmor, ursprünglich der höchste Rang innerhalb des bildnerischen Materials eingeräumt. In der zeitgenössischen Bildhauerei spielt der Stein im Verhältnis zu anderen Werkstoffen jedoch eine eher untergeordnete Rolle. Nur vergleichsweise wenige Künstler setzen sich heutzutage damit auseinander. Eisen, Stahl und, seit den 1980er Jahren wieder vermehrt Holz, sind die von der Mehrheit der Bildhauer bevorzugten Materialien. Dass die Arbeit mit Stein vom Künstler den stärksten handwerklichen Einsatz verlangt, mag mit ein Grund dafür sein.
"Man arbeitet sich in stundenlanger Arbeit an eine Figur heran, sozusagen im Umweg über die Technik. Die Form läßt sich nur langsam, systematisch gewinnen. Das ist das Entscheidende an der Steinplastik"¹, beschreibt beispielsweise Alfred Hrdlicka sein Tun . Der Widerstand des Materials hat mit dazu beigetragen, dass die Steinbildhauerei nicht die selbe Aufmerksamkeit bei den Künstlern erfährt.

Der Bildhauer Christoph Traub gehört zu denjenigen, die sich für dieses Material entschieden haben. Gleichwohl bestimmen zwei Dinge seine Auseinandersetzung mit dem Stein. Zum einen ist es die Beschäftigung mit der Grundform des vorhandenen Steinblocks, zum anderen die Umsetzung der bildnerischen Idee, die an diese Form gebunden ist. Traub findet sein Material, meist sind es rechteckige Blöcke, in steinverarbeitenden Betrieben. Es sind bereits industriell bearbeitete Stücke. Seine Gestaltung wird also von der Form, den Ausmaßen und den Eigenschaften des ausgewählten Steins maßgeblich bestimmt. (...)

(Auszug aus dem Katalog: Christoph Traub -Skulptur und Zeichnung, 2005)

¹ Alfred Hrdlicka in: Eduard Trier, Bildhauertheorien im 20. Jahrhundert. Berlin 1999, S. 81



ZUM STEINERWEICHEN: DIE BAUCHGNOME DES CHRISTOPH TRAUB
(Thomas Milz)

Mit seinen beiden Skulpturen "Haut stehend" und "Haut hängend", die zusammengestellt eine teils aus dem Wasser ragende, teils darüber schwebende Installation bildeten, reagierte Christoph Traub auf den historischen Ort, auf dem sich sein neues Atelier befindet: die alte Lederfabrik auf dem "Röhm-Areal" an der Rems in Schorndorf. Mehrere hundert Jahre war hier eine Gerberei, in der die Häute unzähliger Tiere zu Leder verarbeitet wurden. Mehr oder weniger mitleidlos, wie man vermuten darf. Traubs Arbeit faszinierte und vermochte zu berühren, weil sie der geschundenen Kreatur, die sonst bei ihrem Verwertungsprozess vorenthaltene Trauer wenigstens nachreichte. Die großen Tieropfer zur Bequemlichkeit des Menschen bekamen so ein Erinnerungszeichen, an dem sie buchstäblich beweint werden konnten.

Unbehaglich stimmte zudem, dass Traubs Arbeiten nicht nur "unter die Haut" gingen, sondern an die eigene mitdenken ließ. Die Haut als verletzliche Schutzhülle und die Angstfantasie - oft genug zur schrecklichen Realität geworden - sie, gar bei lebendigem Leib, abgezogen zu bekommen. Traub rührt hier an Urängste, wie sie etwa im Mythos der Schindung des Marsyas oder der Legende um den Märtyrer Bartholomäus festgehalten wurden. Im Nachwirken dieser Motive steht der Bildhauer in einer langen und ehrwürdigen Tradition, in der die Rolle von Kunst und Künstler verhandelt wird. Im Streit zwischen dem dionysischen Satyr Marsyas und dem Gott des rechten Maßes Apollon, wer der bessere Musiker sei, geht es um nichts weniger als um die Rangordnung der an der Produktion von Kunst beteiligten Kräfte. Rausch und Vernunft, Trieb und Mäßigung werden hier in eine Opposition gebracht, deren Streit die kalte Lichtgestalt Apoll mit (faulen) Tricks für sich entscheidet. Über den Sieg des Gottes, der die Strafe der Schindung des Marsyas zu Folge hat, mag keine rechte Freude aufkommen. "Ihn beweinten die Götter des Feldes / und Waldes, die Faune, / auch seine Brüder, die Satyrn (...) Nass ward die fruchtbare Erde, sie / nahm die fallenden Tränen / auf...", so wird von Ovid in seinen "Metamorphosen" über die Trauer um Marsyas berichtet. "Die Sympathie des Publikums verwandelte den leiblichen Marsyas in einen Fluss aus Tränen. Machtlos, wie das Opfer, neigt sich der Zuschauer allem Scheiternden entgegen, in dem er sein eigenes Schwachsein wieder erkennt, während der allzu strahlende Sieger, der allzu konsequente Rechtsstandpunkt nichts Anrührendes verströmt. Der Beitrag der Zuschauer im Wettstreit zwischen Apollo und Marsyas bildet ein Drittes, das die große Polarität des Apollinischen und Dionysischen überwölbt: das Mitleid..." (Beat Wyss) Traub zwingt uns in diesem Streit, der auch eine Machtfrage zwischen Oben und Unten, schön und hässlich, Menschen (-Gott) oder Tier ist, zur Stellungnahme. Das gelingt ihm, indem er seinen Häuten (besonders "Haut 1") Physiognomien verleiht, die den Stein in eine bewegte/ bewegende Gesichtslandschaft verwandelt: Wir meinen angeschaut - und gemeint zu sein. Dabei sehen wir in einen Spiegel, in dem der Schrecken über das Gesehene uns die tätige Zeugenschaft abverlangt. So wie Michelangelo im "Jüngsten Gericht" in der Sixtinischen Kapelle sein Selbstportrait auf die abgezogene Haut des Bartholomäus einzeichnet, so können wir unser grotesk zur Wahrheit entstelltes Kollektivportrait in Traubs Bauchgesichtern entdecken. Naheliegend, dass ein Entsetzen über dieses Spiegelbild uns in eine zur Erstarrung neigende Melancholie verführen könnte. Dem zu entkommen, braucht es, egal wie zerzauste, Flügel; ein anderes schönes Thema der Skulpturen Christoph Traubs. Gerupft, aber immer keck: diese Flügel stellt der Künstler mit der lebensfreundlichen Offenheit seines Humors zur Verfügung.

So erweitert und variiert Christoph Traub nun das Spektrum seines Themas mit den beiden jüngst entstandenen Arbeiten "Haut 2" und "Haut 3". Nach Gewalt und Mitleid folgt ein Satyr-Spiel um Vergänglichkeit und Humor. Dabei nimmt er auch ein Motiv wieder auf, das bei ihm eine große, immer wiederkehrende Rolle spielt und eine eigene Untersuchung wert wäre: was und wo ist eigentlich die Mitte? Mit satirischem Witz scheint diese Frage - jedenfalls für einen Teil der männlichen Welt - in "Bertis Buben" (um 2000) beantwortet. (...)

(Auszug aus dem Katalog: Christoph Traub -Skulptur und Zeichnung, 2005)